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Good morning STEINFELD !
Kolumne zum Wochenbeginn
Numero 147

ocs

Der Tod gehört nun mal zum Leben dazu !

Nie ist diese simple, brutale und endgültigste aller Wahrheiten
so wundervoll ausgesprochen worden wie von der Schauspielerin Sally Field
in ihrer Rolle als Mutter von Forest Gump im gleichnamigen Kinofilm.

Nichts im Leben eines Menschen, abgesehen von seiner Geburt,
ist so sicher wie der Tod
und dabeischeint es fast, als wäre er einziger unumstößlicher Festpunkt
auf der Reise durch das menschliche Dasein.

In nüchtern - analytischer Anerkenntnis dieser Tatsache
zähle ich mich zu jenen Zeitgenossen
denen es schwer fällt, in tiefe, langanhaltende, den Verlust beklagende Trauer zu verfallen,
selbst wenn ein mir nahe oder sehr nahestehender Mensch an diesem Fixpunkt angelangt ist.

War mir sein Leben nahe genug, wohlmöglich lieb,
dann suche ich mich seiner zu erinnern
und obwohl ich auch der verklärenden Huldigung eher nicht sonderlich zugetan bin,
stelle ich doch fest,
dass mir in dieser Erinnerung und dem damit einhergehenden Gedenken
ausschließlich die angenehmen Bilder vor dem inneren Auge erscheinen.

Besonders suspekt sind mir prinzipiell Verlustbeklagungen
bei Ableben von Personen der allgemeinen Bekanntheit.

Es verwirrt mich eher,
wenn ich von den „Löchern“ und der „Leere“ höre,
die dieser oder jene hinterlaßen,
egal wann und wo sie zu gewisser Bedeutung gelangten,
jedenfalls was die Allgemeinheit betrifft.

So hüte ich mich denn auch allenthalben in den Chor der Verlustbeklager einzustimmen,
außer heute.

In den letzten Jahren begleitete mich und andere
ein Mann durch den Irrsinn des zunehmenden Schwachsinns,
der die Schuhe eines verstorbenen Freundes auftrug, weil diese ihm passten,
die Witwe ihn darum bat
und es sich um hochwertige, überwiegend ungetragene Unikate aus Meisterhand handelte.

Ich wäre auf eine solche Idee wohl kaum gekommen, abgesehen davon,
dass der Gemeinte und sein verstorbener Freund
auf größerem Fuß lebten als ich – in vieler Hinsicht.

Dieser Mann, dessen überraschender Tod für mich
und wie ich hoffe möglichst viele andere ein tatsächlicher beklagenswerter Verlust ist,
bezeichnete sich selbst auf Anfrage als „Brennenden“.

In der Tat legte er bei den Dingen
die ihn sichtbar, vor allem aber hörbar machten,
eine Vehemenz an den Tag,
die auch vor ihm selbst keinen Halt machte.

Nie wurde er müde neben seinen wortgewandten,
von größtem Intellekt strahlenden,
bisweilen überschwänglich – verschwenderischen Einlassungen
auch die Unvollkommenheit seiner selbst zu thematisieren.

Der unerhört sichere, präzise, blumige, unglaublich lange,
dabei aber immer sinnschlüssige Sätze hervorbringende,
den Gesamtrotenfaden nie verlierende
Umgang mit der deutschen Sprache könnte man ohne große Übertreibung
als sein Alleinstellungsmerkmal zu seiner Schaffenszeit in diesem Land bezeichnen.

Er würde sich einer solchen Einschätzung nicht widersetzt haben – aus allen Gründen.

Seine unerhörten Fähigkeiten
brachten ihn schon mit frühen Jahren ins Fernsehen und so zu mir.
Eine seiner ersten Sternstunden dortselbst war ein Interview mit Madonna,
welche schon nach kurzer Zeit
den Vergleich zu einem Gespräch mit ihrem Psychiater zog.

Nein, er wäre eben Europäer, so der hier Besungene
und als Madonna feststellte,
dass er diese Herkunft mit einer ihrer Bekannten aus Buenos Aires gemein hätte,
blieb ihm in der Nachschau nur fest zu stellen,
dass diese Verortung aus der Zeit stamme, bevor ihr die Rolle der Evita Peron zufiel.

Ein Jahr saß dieser Mann im Bundestag – bei jeder Sitzung und bebuchte das Erfahrene.
(siehe hier)

Aus allen sprachlichen Gründen
ein kaum überbietbarer Genuss im Gewirr des sonstig zeitgenössischen Geschreibsels,
inhaltlich eine schwere Prüfung
und dem Ansehen der von ihm schonungslos Betrachteten eher nicht förderlich.

Man erfährt fast körperlich die Qualen,
denen er sich dort oben, oft mutterseelenallein,
auf der Tribüne des „Hohen Hauses“ für uns aussetzte.

Er bereiste „Die Enden der Welt“,
doch nicht jene, die wir als solche verorten.

In Indien fand er eines am Ende des langen Korridors eines Bordells,
im Zimmer einer jugendlichen Prostituierten mit AIDS,
deren Kunden der gleichen Krankheit anheim gefallen,
auf ihrer Matratze das Vergnügen suchten,
welches ihr das Überleben an diesem tatsächlichen Ende der Welt sicherte.

Dieser Mann scheute sich nicht nach Afghanistan zu gehen,
um dort direkt bei den Taliban ein Interview zu führen,
welches er eins zu eins publizierte.

Nicht mal die Interviewten hatten das geglaubt.

In Los Angeles saß er nachts um drei mit einem Hollywood-Schauspieler
in einem Diners und stellt mitten im Gespräch, genau am richtigen Punkt fest:
„Sie sind einsam!“

Der Mann fing an zu weinen und sagt:
„Alone – yes, you’re right!“

Diese Reaktion war so weit vom Image des Schauspielers weg,
wie nur irgend etwas sonst.

Roger Willemsen war ein Freund.

Ich sprach ihn nie, weiß nicht wo er wohnte, noch wie er war.
Ich mochte ihn, weil ich mochte, was er tat,
vor allem aber wie er es tat.

Er war so selbstverliebt und dabei so uneitel.
Er nahm sich selbst nicht zu ernst
und auch seine Gesprächspartner überführte er bisweilen des mangelnden Ernstes.
Doch dabei war er einfühlsam.

Wenn er sich rieb, dann immer nur an mindesten Ebenbürtigen,
lieber noch an vermeintlich Überlegenen.

Schwäche nutze er nur aus,
wenn sie sich suchte hinter Großspurigkeit zu verbergen.
Dann allerdings war es ihm ein diebisches Vergnügen,
sie ins Licht zu zerren.

Für mich war er ein naiver Realist,
übervoll mit wirklicher Klugheit und echtem Wissen.

Nie schwadronierte er zu Themen über die er wenig oder keine Kenntnis hatte.

Wer wird wohl nun die Schuhe seines Freundes auftragen,
die seine geworden waren ?

Für die meisten werden sie zu groß sein – eher nicht,
weil es sich um Größe 45/46 handelt.

Have a nice week !

M. Eckart, ocs

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